MEILENSTEINE
Freddy Sahin-Scholl zählt mit Sicherheit zu den ungewöhnlichsten musikalischen Castingshow-Teilnehmern, die das deutsche Fernsehen erlebt hat. Zum einen ist der heute über 60-jährige nicht einmal im Besitz eines Fernsehgerätes, zum anderen hatte sich der Sänger, den mittlerweile ganz Deutschland als den >>Mann mit den zwei Stimmen<< kennt, in den Jahren vor seinem Fernsehauftritt unter dem Künstlernamen >>Galileo<< bereits einen gewissen Bekanntheitsgrad ersungen. Zwanzig bis dreißig Auftritte absolvierte der ehemalige Krankenpfleger im Schnitt pro Jahr und verkaufte im Alleingang einige tausend CDs, bevor er sich 2010 zur Teilnahme an der RTL-Show „Das Supertalent" bewegen ließ. Doch das kostete einige Überzeugungsarbeit.
„Ein Bekannter, den ich seit zehn Jahren nicht mehr gesehen hatte, rief mich irgendwann an und fragte mich, ob ich die Sendung kenne. Ich müsse da unbedingt mitmachen", erinnert sich Sahin-Scholl. Nachdem sich der in Karlsruhe lebende Musiker monatelang erfolgreich gegen die verhasste Audition wehren konnte, setzte ihm der Anrufer bei der 4. "Supertalent"-Staffel schließlich entschlossen die Pistole auf Brust. „Er meinte: 'Es ist für mich eine Herzenssache, ich bin dein größter Fan. Du musst da hin, das ist ein Auftrag. Am nächsten Sonntag ist das letzte Casting in Köln, wenn du da nicht alleine hingehst, hole ich dich morgens um sechs Uhr mit meinem Auto ab'", schmunzelt Sahin-Scholl heute. In der Nacht vor besagtem Sonntag tat er kein Auge zu. Freddy hatte den Mann zehn Jahre nicht gesehen, war nicht einmal mit ihm befreundet. „Aber dann dachte ich mir: Möglicherweise ist das eine Art Vorsehung. Und schließlich bin ich hingefahren – allerdings nicht als 'Galileo', sondern als Freddy Sahin-Scholl.“
Die Wirkung, die seine Auftritte bei der Jury (Dieter Bohlen, Bruce Darnell und Sylvie van der Vaart), dem Studiopublikum und den Millionen Menschen an den TV-Geräten zu Hause entfachte, war nahezu unbeschreiblich. Seine Ausnahme-Fähigkeit, dank seiner Bariton- und Sopran-Stimme mit sich selbst im Duett singen zu können, machte Freddy Sahin-Scholl im Nu zur absoluten musikalischen Hauptattraktion der Show.
Der Mann, der seine Eltern nie kennengelernt hatte, im Kinderheim aufgewachsen war und 25 Jahre als Krankenpfleger gearbeitet hatte, begeisterte Menschen jeden Alters, faszinierte sie und rührte sie zu Tränen. Mehr als 17 Jahre vor diesem Auftritt hatte er seinen sicheren Job aufgegeben, alle Ersparnisse zusammengekratzt, um seinen Traum zu verwirklichen und eine eigene CD aufzunehmen. Im Jahre 2010 zahlt sich diese mutige Investition tausendfach aus: das Album „Carpe Diem" erscheint beim Majorlabel Sony Music. Es ist ein Ereignis, dass sich perfekt in Freddy Sahin-Scholls Biografie fügt: er ist nicht nur der Mann mit den zwei Stimmen und mit den zwei Künstlernamen, sondern ab sofort auch der Mann mit den zwei Karrieren. Mittlerweile ist die CD „Carpe Diem" sogar mit Gold ausgezeichnet. Und im Juni 2016 erscheint sein zweites Album mit dem Titel „For You“.
BIOGRAFIE
1953
Freddy Sahin-Scholl wurde in Heilbronn geboren. "Wahrscheinlich kam ich in einer der Flüchtlingsbaracken unten am Neckar zur Welt", vermutet er. Ganz genau weiß das niemand, denn Freddy Sahin-Scholl hat seine Eltern nie kennen gelernt. Dort fand eine engagierte Fürsorgerin den sechs Monate alten Jungen - vollkommen verstört, verwahrlost und halb verhungert. Sie brachte Freddy erst in eine Klinik. Nahm ihn dann - wie einige andere Kinder mit ähnlichem Schicksal - zu sich ins nahe gelegene, kleine Wüstenrot und wurde ihnen eine liebevolle Pflegemutter. Sie war auch die Erste, die Freddys musikalisches Talent erkannte und nach Kräften förderte.
1959
Nachdem das Heim ein altes Klavier geschenkt bekommen hatte, war der verschlossene, oft in seine eigene Welt versunkene Freddy kaum noch anderswo als an den schwarz-weißen Tasten zu finden. In der Musik hatte er seine Sprache gefunden. Er spielte Melodien, die nur in seinem Kopf existierten, übte so lange, bis ihm die kleinen "Kompositionen" gefielen. Als er sieben Jahre alt war, bekam er Klavier-unterricht. Doch es kam nur zu einigen wenigen Stunden. Der autoritäre Klavierlehrer und sein musikbegeisterter Schüler kamen einfach nicht miteinander aus. Nur Fingerübungen, Etüden und stures Vom-Blatt-Lesen war nicht Freddys Ding. Als seine Pflegemutter ihn später fragte, wie er denn seine Musikstücke ohne Notenkenntnisse jemals aufschreiben wolle, antwortete Freddy: "Mach dir keine Sorgen. Es wird bestimmt mal ein Klavier geben, auf dem man unten spielt und oben fallen die Töne als geschriebene Noten heraus..." (Der Junge sollte recht behalten: Freddy Sahin-Scholl nutzt heute ein solches Instrument zum Komponieren: einen Computer.)
60er Jahre
Musik nahm immer mehr Raum im Leben von Freddy ein. Da waren auf der einen Seite die ersten Besuche klassischer Konzerte und auf der anderen Seite der erste nicht-öffentliche Auftritt zur Vorauswahl für den Talentschuppen. Der Talentschuppen war eine Sendung des SWF in Baden-Baden, in der junge Gesangstalente ihre Stücke vorstellten; ein Vorläufer heutiger Castingshows. Aufgrund seines Alters, er war damals erst 13, wurde ihm allerdings die Teilnahme am öffentlichen Wettbewerb untersagt.
70er und 80er Jahre
Ende der 70er Jahre hatte Freddy Sahin-Scholl dann seinen ersten öffentlichen Auftritt. Mittlerweile in Pforzheim lebend wurde aus einem ungeplanten Konzert im dortigen Jazzkeller eine ganze Konzertreihe. Diese mündete in die Teilnahme am Wettbewerb um den Kleinkunstpreis Baden-Württemberg – den Freddy 1980 auch gewann. Danach folgten in den 80er Jahren viele Auftritte in Süddeutschland.
1993
Das Jahr der Entscheidung. Freddy Sahin-Scholl gibt im Alter von 40 Jahren den Beruf des Krankenpflegers auf und konzentriert sich auf die Musik. Es folgen Jahre des Aufs und Abs. Ein eigenes Label wurde gegründet, spannende künstlerische Konzepte verwirklicht und mit innovativen Ideen wurden neue Märkte geschaffen. Und es entstand der Wunsch, eine eigene CD zu machen.
Späte 90er Jahre
Das Konzept für die Debüt-CD entwickelte der Mann mit der ausgeprägten musikalischen Vorstellungskraft – seinem absoluten Gehör sei Dank – in nur 14 Tagen. Es ist deshalb nicht weiter verwunderlich, dass Freddy Sahin-Scholl bei „Carpe Diem" nicht nur als Komponist und Sänger verantwortlich zeichnet, sondern ebenso als maßgeblicher Produzent seines eigenen Albums tätig war. „Mir war auf einmal alles klar. Sämtliche Songs speisen sich im Grunde nur aus meiner Kindheitsgeschichte und aus meinem Lebensmotto: Carpe Diem."
2003
Die CD „Carpe Diem", die Freddy Sahin-Scholl im Eigenvertrieb auf den Markt brachte, fand immer mehr Fans; und auch an anderer Stelle wurde man auf seine besondere Begabung aufmerksam. So bekam er 2003 die Gelegenheit, bei der größten Konzertreihe mitzuwirken, die vor Weihnachten in Deutschland stattfand, die „Night of the Proms“. Wer dabei sein kann, zählt zu den ganz Großen – viele seiner damaligen Idole wie Toto, Huey Lewis and the News, En Vogue oder John Miles traten dort auf. Und jetzt bekam er die Chance, als Special Guest selbst aufzutreten.
„Die Night of the Proms-Konzerte waren für mich als Künstler ein absoluter Höhepunkt meiner Karriere; dass es einmal so kommen könnte, hätte ich mir niemals in meinem Leben träumen lassen – niemals zu träumen gewagt!“ sagt Freddy Sahin-Scholl noch heute. „Ich fühlte mich wie im Himmel auf Erden.“ 2008 wurde er erneut für die Konzertreihe „Night of the Proms“ nach Frankreich und Spanien eingeladen. Hier stand Freddy Sahin-Scholl mit Allan Parson, Simple Minds und John Miles auf der Bühne.